44+60+1 Geschichten

44+60+1 Geschichten

«Carte blan­che» der Volksstimme vom 8. Februar 2024

Eigentlich wollte ich hier über etwas ganz Anderes schreiben. Aber wie das Leben oft so spielt, drängte sich plötzlich eine andere Geschichte in den Vordergrund. Bei dieser wusste ich zuerst nicht, ob ich mich kopfschüttelnd aufregen soll oder ich darüber lachen kann. Ich habe mich dann für zweites entschieden.

Kürzlich war ich auf dem nächtlichen Heimweg von der Buchvorstellung im Marabu, an der vor vielen Interessierten das neue Buch der Ortssammlung Gelterkinden «Gelterkinder Geschichte in 44+60 Stichwörtern» präsentiert wurde. Im Kopf hatte ich noch die eine oder andere nachdenklich stimmende oder auch zum Schmunzeln anregende Begebenheit, die wir an diesem Abend aus dem viele Perlen enthaltenden neuen Werk zu hören bekamen. Da sah ich nicht weit von meinem Daheim einen gelbbewesteten Mann emsig die Strasse auf und ab gehen. Da mir nicht bewusst wäre, dass die «Gilet jaunes» nun auch in Gelterkinden einen Ableger haben, befürchtete ich eher irgendein unvorhergesehenes Ereignis, dass sich während meiner Abwesenheit in unserer Strasse ereignet hatte. Ein paar Schritte weiter konnte ich aber erleichtert alle meine Mutmassungen wieder verwerfen, da ich erstens den Mann und zweitens den Grund des Gilettragens erkannte.

Auf seiner Sicherheitsweste leuchtete der Schriftzug einer ortsbekannten politischen Vereinigung, der ihn als Wahlkampfhelfer zu erkennen gab. Unter dem Arm zeigte sich ein kleiner Stapel mit Kunststoffplakaten, auf denen vier Köpfe zu sehen waren. Kurz vor der Einfahrt zu unserem Haus verabschiedeten wir uns und ich wünschte ihm noch einen schönen Abend. Den hatte er offenbar.

Als meine Frau am nächsten Tag als Erste das Haus verliess, kam sie mit zwei mir seit letztem Abend bekannten Plakaten wieder zurück. Die hingen offenbar nach unserer Verabschiedung eine kurze Zeit am Beleuchtungskandalaber in unserer Hauszufahrt, quasi an unserem nicht existierenden Gartentor, bis sie mangels genügender Befestigungstechnik schon in der ersten Nacht langsam, aber stetig auf den Boden abrutschten.

Die Umgebung um unser Haus herum versuchen wir eher mit Bäumen, Sträuchern und Blumen zu verschönern, als mit Wahlplakaten. Zudem hat sich in unserem Haushalt bei allen Wahlberechtigten die Vorstellung, welche Namen sie bei den Gemeindewahlen auf die beiden Wahlzettel schreiben werden, schon ziemlich gefestigt. Aus diesen Gründen haben wir die beiden Plakate von ihrem Schattendasein am Fusse der nachbarlichen Gartenmauer befreit, sie wieder entfernt und in unserem Keller zwischengelagert – falls sie noch jemand brauchen sollte.

Ich bin fast etwas gerührt ob der hier angedachten persönlichen Betreuung in meiner politischen Meinungsfindung. Dass ich aber nun bis zum Wahltermin jedes Mal, wenn ich das Haus verlasse oder wieder glücklich nach Hause zurückkehre, diese Plakate studieren soll, scheint mir doch etwas zu viel des Guten.

Vielleicht strapaziert auch das eine oder andere Plakat ihre Nerven. Nehmen Sie es mit Humor – und noch wichtiger: Gehen Sie wählen!

Peter Gröflin, Gemeindepräsident Gelterkinden, EVP