Wird die Heirats- zur Familienstrafe?

Wird die Heirats- zur Familienstrafe?

Die Heiratsstrafe hängt seit Jahren als Damoklesschwert über heiratswilligen und verheirateten Paaren. In der Schweiz sind derzeit verheiratete oder in eingetragener Partnerschaft lebende Paare bei den AHV-Renten und den Bundessteuern im Vergleich zu Konkubinatspaaren finanziell schlechter gestellt.

Bei gemeinsam besteuerten Paaren wird das Einkommen zusammengerechnet. Aufgrund der progressiv ausgestalteten Steuersätze führt dies zu höheren Steuertarifen als bei zwei Einzelpersonen. Bereits 1984 entschied sich das Bundesgericht gegen die steuerliche Diskriminierung der Ehepaare. Die Kantone passten ihre Gesetze an. Das Baselbiet wendet seither das Splitting-Modell an. Dabei wird das Einkommen zum Progressionssatz des halbierten Gesamteinkommens versteuert.

Bei den Bundessteuern scheiterten bisher hingegen alle Lösungsversuche. Aktuell wird in Bern über die Umsetzung der Volksinitiative zur Individualbesteuerung gerungen. Sie setzt auf einen einzigen Tarif, der bei allen natürlichen Steuerpflichtigen unabhängig vom Zivilstand zur Anwendung kommen soll. Der Bun­des­rat verabschiedete letzte Woche sei­nen indirekten Gegen­vor­schlag zur In­itia­tive. Er sieht vor, alle Per­so­nen unab­hän­gig von ihrem Zivil­stand indi­vi­du­ell zu besteu­ern. Der Tarif für Ver­hei­ra­te­te würde ent­fal­len, der Kin­der­ab­zug erhöht und auf die Eltern auf­ge­teilt. Mit der bundesrätlichen Umsetzung würde die Heiratsstrafe allerdings in eine Strafe für klassische Familienmodelle umgewandelt. Für Ehe­paare mit nur einem Ein­kom­men oder einem nied­ri­gen Zweit­ein­kom­men würde es bereits in den mitt­le­ren Ein­kom­mens­klas­sen zu steu­er­li­chen Mehr­be­las­tun­gen kommen. Fami­lien, in denen sich ein Eltern­teil ent­schei­det, zur Selbst­be­treu­ung der Kin­der nicht oder nur in gerin­gem Umfang einer Erwerbs­tä­tig­keit nach­zu­ge­hen, würden benachteiligt. Die Indi­vi­dual­be­steue­rung würde die Hei­rats­strafe zwar end­lich abschaf­fen, gleichzeitig jedoch eine neue inak­zep­ta­ble Dis­kri­mi­nie­rung einführen. Gewisse Kreise unterstützen dies. Sie möchten Frauen so animieren, künftig höhere Stellenprozente auszuüben. Damit werde die Gleichberechtigung gefördert und der Arbeitskräftemangel bekämpft.

Mir entspricht das Baselbieter Splitting-Modell besser. Es berücksichtigt z.B. das Haushaltseinkommen unabhängig von der Aufteilung der Arbeitspensen. Es widerstrebt mir, wenn Familien ans Gängelband genommen und via Steuern in ein bestimmtes Familienmodell gedrückt werden sollen. Familien sollen selbst entscheiden, welches Betreuungs- und Arbeitsmodell zu welchem Zeitpunkt das beste ist. Kommt hinzu, dass die Umset­zung einen deut­lich höhe­ren bürokratischen Auf­wand und ent­spre­chende Kos­ten ver­ur­sa­chen würde. Zudem müssten auch die Kantone das Bundesmodell umsetzen und wir uns vom guten BL-Modell verabschieden. So hoffe ich, dass die Anliegen der Volksinitiativen «Faire Renten – endlich auch für Ehepaare» und «Faire Steuern – endlich auch für Ehepaare» der Parteien Die Mitte und EVP noch rechtzeitig in die Parlamentsdebatten einfliessen.

Andrea Heger, Gemeindepräsidentin und Landrätin EVP, Hölstein