Card Blanche 2015
Wahlslogans - und was bleibt davon im Alltag übrig?
Publiziert in der Volksstimme vom 9.10.2015
„Carte blanche“ der Volksstimme vom 9.10.2015
Traumhaft, so eine ‚Carte blanche’ (je nach Übersetzung Freibrief, Handlungsfreiheit, unbeschränkte Vollmacht, Blankocheck) zu erhalten, nicht? Der Umgang mit der Freiheit kann aber extrem schwierig sein, will man nicht kopflos das Nächstbeste tun, sondern sie verantwortungsvoll nutzen.Wir Politiker/innen haben auf den ersten Blick nicht nur für diese Rubrik, sondern für vier Jahre eine ‚Carte blanche’.Puh, diese Verantwortungslast muss einmal verdaut werden…
Kein Wunder schlägt der Bescheid, man sei gewählt, hie und da auf den Magen! Auf den zweiten Blick sind wir doch nicht ganz so frei. Wir haben uns schon im Voraus mit der Wahl einer Partei /einer Fraktion Grenzen gesetzt. Diese Biotope schränken mehr oder weniger ein und lassen Neulinge auf unterschiedlichste Weise und von verschiedenen Ufern aus erste Schwimmerfahrungen im offenen Gewässer machen.
Ebenso sollten die im Vorfeld von Wahlen gern benutzten und leicht zugänglichen Statements, Schlagworte und Slogans eine Richtschnur bilden. Diese reduzieren Schwerpunkte und Inhalte einer Person /Partei auf kernige Aussagen. Oft eingängig, aber kaum konkret. Im politischen Alltag gilt es, die komprimierten Inhalte wieder fassbar werden zu lassen.
Beim Landratswahlkampf hatte die EVP z.B. den Slogan ‚Wir hören Ihnen zu’. Das Zuhören braucht nun im Alltag zwar viel Zeit, und damit ist noch nichts Konkretes umgesetzt – aber immerhin ein erster guter Schritt getan! Wir EVP-Kantons-Parlamentarier/innen haben überlegt, was der weitere EVP-Slogan ‚Gerechtigkeit – Nachhaltigkeit – Menschenwürde’ aus diesem Wahlherbst für unsere Handhabe mit der Finanzstrategie und den dazu eingereichten Budgetpostulaten bedeuten. Was nehmen wir zähneknirschend hin (sparen ist nie toll), welche Massnahmen unterstützen und gegen welche opponieren wir?
Nachfolgend ein Ausschnitt: Wir bejahen einen Budgetposten, um den Landrat endgültig auf einen papierlosen Betrieb umzustellen. Der Nachhaltigkeitsaspekt soll aber nicht nur der Natur, sondern auch den Finanzen gelten. Bei einigen Sparvorlagen sehen wir leider nur kurzfristige Entlastungen, weil dafür andernorts verzögert Kosten steigen werden. Daher setzen wir uns für die Beibehaltung diverser Präventionsaufgaben ein, u.a. die der Verkehrs– und Zahnputzinstruktionen oder der Neophytenbekämpfung.
Aus obigen Gründen und unter dem Aspekt der Menschenwürde wollen wir das Engagement des Kantons in den Bereichen Alkoholprävention (mittels Leistungsauftrag an das Blaue Kreuz) und Prämienverbilligungen der Krankenkasse für die Ärmsten unter uns weiterhin gesichert wissen.
Last but not least erachten wir es im Sinne der Gerechtigkeit nicht in Ordnung, wenn per Leistungsauftrag bis ins Jahre 2017 gemachte Zusicherungen an Organisationen wie z.B. die Frauenoase oder Aidshilfe ganz gestrichen werden. Wir sehen Sparbedarf und wollen ihn dort tätigen, wo er möglichst geringe Langzeitschäden anrichtet (z.B. vorübergehende Einschränkungen bei Volontariatsstellen, im Wahlfachbereich am Gym oder bei Beiträgen an Betriebsanlässe). Es gilt aber auch, zusätzliche Einnahmequellen (z.B. durch Erhöhung von Stellenprozenten im Steuerrevisor-Bereich) zu erschliessen. Ich hoffe, Sie erkennen die Slogans wieder!
Andrea Heger, Landrätin EVP, Hölstein
Risikoreicher Einstieg ins Leben
Publiziert in der Volksstimme vom 9.10.2015
„Carte blanche“ der Volksstimme vom 9.10.2015
Unser Leben ist nicht enden wollenden Risiken ausgesetzt. Dies bereits vor dem ersten bis zum letzten Atemzug. Ab und zu hört man den Ausspruch: Er/Sie hat gekämpft bis zum Schluss. Reichlich investieren wir, damit möglichst viele dieser Kämpfe gegen den Tod gewonnen oder die Unterwerfung zumindest hinausgeschoben wird.
Paradoxerweise scheinen wir aber für ältere Leute viel kampfbereiter, als für die Jüngsten, die noch Ungeborenen. Mir fällt es auf jeden Fall schwer nachzuvollziehen, wie unser nationales Parlament es bejahen kann, dass zukünftig tausende Föten zuerst hergestellt, dann eingefroren und spätestens nach zehn Jahren in nur leicht minimiertem Umfang wieder entsorgt werden.
Einigen Lesenden ist wohl bereits klar geworden, dass ich mit meinen Aussagen das neue medizinische Fortpflanzungsgesetz (FmedG) anspreche. Seit 1992 ist bei uns in der Schweiz die In-vitro-Fertilisation (künstliche Befruchtung im Reagenzglas) erlaubt. Lange war in unserer Verfassung ein Verbot verankert, die so gezeugten Embryos vor der Einpflanzung in den Mutterleib zu untersuchen oder einzufrieren. Pro Zyklus war nur die Herstellung von drei Embryonen erlaubt.
Seit letztem Juni ist dies anders. Volk und Stände bejahten knapp die Aufhebung des Verbots der Präimplantationsdiagnostik (PID). Laut Verfassung ist nun eine Aussortierung von Embryonen erlaubt. Nähere Einzelheiten dazu regelt das neue FmedG. In diesem Gesetz wird verankert, was an Machbarem tatsächlich praktiziert und was — vor allem aus ethischen Gründen — immer noch verboten oder nur eingeschränkt erlaubt sein soll. Die Beratungen im National– und Ständerat wurden sehr kontrovers diskutiert und schliesslich die recht restriktiven Grenzen im Vorschlag des Bundesrats stark erweitert.
So sollte u.a. PID ursprünglich nur erblich vorbelasteten Eltern erlaubt werden. In der Schweiz wären davon etwa 50 – 100 Paare jährlich betroffen. Das Parlament erlaubt die PID generell für alle. Das erhöht den Druck auf Eltern kranker Kinder und öffnet Tür und Tor für immer weitere Kriterien, nach welchen Embryonen aussortiert werden dürfen. In Grossbritannien besteht bereits ein Bogen mit 250 Krankheiten. Andernorts gibt es gar „Bestellbögen“ mit bis zu 400 Eigenschaften, die bewertet werden können. Wer auf vermeintliche Sicherheit aus ist, überlegt sich in Zukunft, ob er ein Kind nicht lieber von vornherein künstlich herstellen will…
Viele Organisationen bekämpften bereits die PID. Gegen das ausgearbeitete Gesetz macht nun eine noch breitere Front mobil. Nach offizieller Publikation des FmedG im Bundesblatt ergriff die EVP das Referendum. Unterstützt wird sie von einem breit abgestützten, überparteilichen Komitee und vielen weiteren Organisationen. Seit 1. September läuft die Sammelfrist. Innerhalb hundert Tagen sind 50’000 beglaubigte Unterschriften abzugeben, damit das Volk abstimmen darf, ob es dieses FmedG so will oder zur Überarbeitung zurückweist.
Meine Unterschrift steht bereits auf einem der Bögen. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass die anderen 49’999 sich auch rasch finden lassen. Denn viele wollen das Risiko mindern und die Chancen erhöhen, damit möglichst viele der – auf natürlichem oder künstlichem Wege – gezeugten Kinder leben dürfen!
Andrea Heger, Landrätin EVP, Hölstein
Eistee lässt trotz Sommerferien an Schule denken
„Carte blanche“ der Volksstimme vom 13.8.2015
Um die vielen Hitzetage dieses Sommers gut zu überstehen, ist nebst Sonnenschutz und Vermeiden von starker körperlicher Anstrengung zur Mittagszeit vor allem eines zentral: viel trinken! Während der Ferien darf es anstelle des üblichen Wassers auch ab und an ein Eistee sein. Dieser Mix aus Wasser, Tee, Eiswürfeln, Zucker und weiteren Zutaten in geringerer Menge erhöht seine erfrischende Wirkung auf unseren Körper mit einer Zitrone serviert physisch und psychisch erheblich! Gut für die, welche einen ordentlichen Vorrat an Zitronen haben.
Und was hält unsere Region frisch und munter? Grundbeigaben des meist bekömmlichen Mixes sind wohl die gute geografische Lage, erfolgreiche Wirtschaftszweige, ein stabiles und sicheres Umfeld usw. Aber was ist hier — in übertragenem Sinne — die Zitrone, die mit ihrem Saft mehr Wirkung erzielt? Ich meine, es seien die Menschen mit ihrem Fleiss, den sozialen Fähigkeiten, innovativen Ideen und guter Ausbildung. Wir sollten zu unseren Zitronen Sorge tragen und uns rechtzeitig um eine nachhaltige Produktion von gutem Nachschub kümmern.
Hierzu sind diverse Schulen zusammen mit den Erziehungsberechtigen und Lehrbetrieben zuständig. Ihr Eistee-Mix besteht aus den auszubildenden Kindern und Jugendlichen, mehr oder weniger guter Infrastruktur, unterstützendem Umfeld, anregendem Unterricht und vielen weiteren Ingredienzen. Je höher die Klasse, desto grösser wird die Auswahl an Geschmacksrichtungen. Und hoffentlich immer alles schön garniert mit den Lehrkräften als Zitronen. Wobei die Zitronen der Sekundarstufe wohl bald nicht mehr so frisch und bekömmlich sein werden…
Nebst der Sommerhitze sorgt im Kanton Baselland die desolate Finanzlage für zusätzlich heisse Stunden. Gern hätte ich, dieser Katzenjammer wäre nur “heisse Luft”. Leider ist dem nicht so. Aber auch die “heisse Spur” suchte bis jetzt vergebens, wer sich durch die als Lösungsvorschlag gedachte “Finanzstrategie” wälzte. Um im Finanzbereich eine wirklich heisse Spur, sprich einen Lösungsansatz zu finden, sind wir in der nächsten Legislatur auf wirklich gute Zusammenarbeit über alle Grenzen angewiesen.
Zurück zu den als Zitronen betitelten Sek-Lehrkräften. Sollten sie zur Zeit teilweise arg sauer sein, für mich ist es nachvollziehbar. Eine Kombination der aktuell sie betreffenden Sparvorschläge mit dem in den letzten Jahren Zusammengekürzten und den sonst angedachten Veränderungen bewirkt, dass an dieser Eistee-Rezeptur arg viel verändert wird. Einige Beispiele: Umbau von vier auf drei Schuljahre, Erhöhung der Pflichtstundenzahl, Weiterbildungen für die Fremdsprachen und die geplanten Sammelfächer, Mehrarbeit durch Integrative Schulung, Erhöhung der Klassengrössen, Streichung der Altersentlastung, zusätzliche Lohnreduktion usw. Klar, einige Sparmassnahmen treffen alle Lehrkräfte und Staatsangestellten. Und Andere müssen auch ganz schön bluten. Aber die Kumulation auf der Sek-Stufe scheint mir einmalig. Wir kriegen wohl bald Eistee mit ausgepressten Zitronen. Wie stark sich so eine Garnitur auf das gesamte Getränk auswirkt und ob das verkraftbar ist, wird noch lange Diskussionen auslösen. Für den Kompost sind grosse Mengen an Zitrusfrüchten jedenfalls nicht förderlich.
Andrea Heger, Landrätin EVP, Hölstein